Nissan Ariya Praxistest: Weißer Riese unter Spannung

Nach dem Nissan Leaf sorgt der Nissan Ariya für ein weiteres E-Modell in der Produktpalette, das mit futuristischer Optik ohnehin die Blicke auf sich zieht. Ein Leaf-Nachfolger wird das neue Modell wohl nicht werden. Mit knapp 4,60 Meter Länge und 1,85 Metern Breite zeigt sich der Ariya wohl eher als Flaggschiff der Marke, welches aufgrund der Corona-Krise verspätet zu den Händlerbetrieben rollte.
Wir sind die 87 kWh Version mit Frontantrieb inklusive Evolve Pack gefahren – mit an Bord sind dann beispielweise ein Head-up-Display, beheiz- und kühlbare Frontsitze, BOSE-Soundsystem, elektrisch einstellbares Lenkrad, digitaler Rückspiegel, etc. Sozusagen ein rundum Sorglospaket, welches sich letztendlich aber auch bei der Preispolitik nicht gerade unbemerkbar macht – dennoch deutlich glimpflicher als bei der deutschen Konkurrenz ausfällt.

Interieur: Premium-Feeling soweit das Auge reicht

Der Innenraum verspricht in jeglicher Hinsicht Premium-Feeling. Nappaleder, Holzmaterialien und Alcantara zieren das Cockpit des rein elektrischen Japaners – Hartplastik ist hier ein Fremdwort. Die Bedieneinheit wurde volldigital gestaltet, sodass man hinter dem Zweispeichen-Lenkrad auf gleich zwei Displays blickt. Die Bedienung könnte etwas intuitiver gestaltet sein, speziell bei dem Display direkt hinter dem Volant benötigt man eine gewisse Eingewöhnungsphase, um die einzelnen Untermenüs mit deren Funktionen intus zu haben.

Die Reduktion der Drehregler bzw. Tasten passt natürlich sehr gut in den futuristischen Innenraum, jedoch reduziert man auch hier die Benutzerfreundlichkeit während der Fahrt. Daher kann es schon mal vorkommen, dass man statt der Änderung des Driving Modes das Ablagefach öffnet oder das e-Pedal aktiviert – da sich all diese Funktionen auf einer Ebene hinter dem Wahlhebel befinden.
Deutlich besser gefällt uns die Kopf- und Beinfreiheit in beiden Reihen, die trotz der höheren Sitzposition als äußerst luftig und reisefreundlich bezeichnet werden darf. Als sehr praktisch stellt sich auch das Ladeabteil unter Beweis, welches in der Basis mit 468 Liter nicht gerade üppig ausfällt, aber aufgrund des variablen Bodens und der seitlichen Abteile für Ladekabel ausreicht. An dieser Stelle würden wir uns noch eine Ski-Durchreiche wünschen, damit längere Gegenstände auch ohne Umklappen der Rücksitzbank transportiert werden können. Auf einen Frunk muss man beim Ariya leider verzichten, wobei wir das nur halb so schlimm sehen, da wie bereits erwähnt die Ladekabel seitlich im Laderaum verstaut werden können.

Fahrverhalten und Laden: Erstaunlicher Testverbrauch!

Die Testversion des Nissan Ariya rollte mit dem größeren Akku mit 87 kWh Akkupaket in die Redaktionsgarage, womit laut Hersteller über 500 Kilometer möglich sind.
Aber überzeugen wir uns mal selbst vom neuen, spacigen Flaggschiff. Bereits bei der ersten Ausfahrt merkt man den hohen Komfort-Faktor, welchen selbst die 20-Zoll Räder keinesfalls schmälern. Schade hierbei finden wir, dass man über keine Möglichkeit verfügt, um zwischen einzelnen Rekuperationsstufen zu wählen, womit man ausschließlich das E-Pedal aktivieren kann und obendrauf noch den Wahlhebel auf die Position B stellen kann. Dennoch erfolgt selbst auch hier keinesfalls die Möglichkeit, dass man das sogenannte One-Pedal-Feeling erzielt (außer bei Schritttempo) und immer ein wenig mit dem Bremspedal nachhelfen muss.
Mit seinen 178 kW / 242 PS und 300 Nm reißt der Ariya keinesfalls Bäume aus – immerhin verfügt er über ein Leergewicht von über zwei Tonnen, überzeugt aber mit ausreichender Motorisierung, flüsterleisem Geräuschniveau, präziser Lenkung und erstklassigen Verbrauch. Im kombinierten Testverbrauch kamen wir auf 18,5 kWh pro 100 Kilometer, womit knapp 400 Kilometer (10-80 Prozent) keinesfalls ein Problem darstellen.
Für die Befüllung des Akkus am Schnelllader mussten wir meist 40-45 Minuten einrechnen, bis wir eine Akkukapazität von 80 Prozent erreichen konnten. Zwischenzeitlich muss es nicht immer der Espresso sein, auch die teils sehr verwunderten Passanten fanden großen Gefallen am Testwagen – die technischen Daten konnten wir dann mittlerweile ohne Datenblatt ausfüllen.
Erstaunlich wirkt aber, dass der neue Stromer selbst ab 80 Prozent nur einen minimalen Abfall der Ladekurve aufweist, sodass hier zwischen 50-60 kW bis ca. 90 Prozent möglich sind. Also dort, wo die Konkurrenzmodelle bei der Ladekurve so richtig einbrechen.
Außerdem muss man sich beim Ariya keinesfalls mit dem 11 kW Onboard-Charger zufriedengeben, man spricht hier von der doppelten Leistung (wohlgemerkt serienmäßig), womit der Ladevorgang an der Wallbox deutlich flotter vorangeht – rund 5 Stunden sollte man hier mit einberechnen.
Das alles sind schon gute Werte, wobei man natürlich auch erwähnen sollte, dass wir bei idealen Temperaturen unterwegs waren – im Herbst oder Winter wird der Verbrauch natürlich auch noch ein wenig ansteigen.

Viel mehr stört mich aber, dass die Navi-Ansicht anscheinend bei der zukunftsorientierten Gestaltung auf der Strecke blieb und leider auch keine Routenplanung inklusive der benötigten Ladestopps verfügbar ist. Bei ersterem Punkt kann man sich via Smartphone mittels Apple CarPlay oder Android Auto Abhilfe schaffen. Dazu kommen lediglich drei Jahre Garantie, die den Konkurrenzkampf nicht gerade erleichtern.

Unser Fa(hr)zit:

Der Nissan Ariya überrascht mit Premium-Haptik im Innenraum und einem unverwechselbaren, sehr futuristischem Außenkleid, welches problemlos als Blickfänger durchgeht. Bei der Bedienung als auch beim Navi (ohne integrierte Ladestopps) gibt es intuitive Abstriche zu verzeichnen. Dies gleicht der Vollzeit-Stromer aber bei der Reichweite als auch im fahrtechnischen Teil wieder aus, wo er mit sehr hohem Komfort und flüsterleiser Akustik punktet.

Was uns gefällt:

  • Die erstklassige Verarbeitung im Innenraum
  • Das futuristische Außendesign
  • Die luftige Kopf- und Beinfreiheit in beiden Reihen
  • Die hohe Praxisreichweite

Was wir noch verbessern würden:

  • Ein grafisches Navi-Update (inklusive Ladestopp-Planung)
  • Die Preispolitik

Factbox – Nissan Ariya Evolve Pack

Motor/Antrieb

Motor: Elektromotor, Batteriekapazität 87 kWh
Leistung kW/PS: 178 kW/ 242 PS
Drehmoment:  300 Nm
Antrieb: Vorderradantrieb
Getriebeart: Automatikgetriebe
0-100 km/h:  7,6 Sekunden
V-Max:  160 km/h

Verbrauch/Umwelt

Werksangabe – kombiniert:  18,5 kWh/100 km
Gas-Junky-Test – Durchschnitt: 20,5 kWh/100 km
Reichweite nach WLTP:  533 km

Ladedauer

Wallbox, 22 kW (Ladezeit bis 100 %):  4 Stunden 45 Minuten
Gleichstrom-Schnellader, 50 kW (Ladezeit bis 80 %): 85 Minuten
Gleichstrom-Schnellader, 130 kW (Ladezeit bis 80%): 35 Minuten

Bremsen/Reifen/Felgen

Bremsen: VA: Scheibenbremsen (innenbelüftet) HA: Scheibenbremsen
Felgen/Reifen: 255/45 R20

Gewicht und Maße

Leergewicht:  2.055 kg
L/B/H: 4,595 m /1,850 m / 1,660 m
Radstand:  2,775 m
Kofferraumvolumen: 468-1.350 Liter

Preise

Nissan Ariya (Basismodell) zu haben ab: € 57.000,-
Nissan Ariya Evolve Pack(ohne Extras) zu haben ab: € 67.500,-
Preis Testwagen inkl. Steuern: € 70.000,-

Sonderausstattung

20-Zoll Leichtmetallfelgen + Nappaledersitze in Blau € 2.500

(c) Bilder: Sebastian Poppe