Praxistest VW ID.4: Die Geschwisterliebe

Volkswagen bringt mit dem ID.4 sein zweites, vollelektrisches Modell auf den Markt, welches auf dem modularen E-Antriebs-Baukasten (MEB) – wie auch der kleine Bruder ID.3 – aufbaut.
Die beiden Modelle differenzieren sich in puncto Platzverhältnis, Reichweite (bis zu 520 Kilometer laut WLTP) und somit auch einer gesteigerten Alltagstauglichkeit.

Doch was bedeutet ID eigentlich? Diese Abkürzung steht für „Intelligentes Design“ und wird von Volkswagen für die neue Generation der Elektromobilität verwendet. Die nachfolgenden Ziffern stehen dann für die jeweiligen Fahrzeugklassen.

Futuristisches Exterieur

Im Fall des VW ID.4 kann man sehr wohl behaupten, dass auch ein Elektroauto äußerst attraktiv sein kann. Die markanten Lichtlinien und das aerodynamische Design lassen den ID.4 äußerst futuristisch erscheinen. Das optionale Design-Paket „Plus“ mit den 3D-LED Rückleuchten mit dynamischer Blinkleuchte sowie die LED-Matrix-Scheinwerfer verleihen dem Stromer einen besonderen Charakter. Weitere Highlights sind die 21-Zoll-Leichtmetallfelgen und die innenliegenden Türgriffe, welche zusätzlich für eine verbesserte Aerodynamik beitragen. Eine wahre Besonderheit des VW ID.4 ist die optionale, anklappbare Anhängevorrichtung.

Interieur: Ziemlich schlicht gehalten

Dank des Radstands von 2,77 Metern vermittelt der Innenraum einem ein unglaubliches Lounge-Gefühl. Das riesige Glaspanoramadach, welches sich beinahe über die gesamte Dachbreite erstreckt ist ein wahrlicher Hingucker.
Die komfortablen, beheizbaren Sportsitze bieten genügend Seitenhalt, überwiegen dennoch mit Langstreckenkomfort. Schade finden wir, dass sich das Fahrzeug plötzlich abstellt, wenn der Sensor keinen Druckpunkt mehr feststellt -dies ist uns Gott sei Dank nur bei niedrigem Tempo passiert.
Die Farben und Materialien des Interieurs wirken modern und wohnlich zugleich. Die Materialwahl fällt im Vergleich zum ID.3 um Klassen besser aus, sodass Hartplastik kaum im oberen Bereich des Cockpits zu finden ist.
Hinter dem Lenkrad verbirgt sich das eher klein geratene zentrale Display, etwa in der Größe eines Smartphones, welches die wesentlichen Daten übersichtlich liefert. Aber es gibt ja auch noch das Augmented-Reality-Head-up-Display, welches die wichtigsten Daten direkt in die Scheibe projiziert.
Der zentrale 12-Zoll-Touchscreen in der Mittelkonsole ersetzt fast alle Knöpfe und Schalter, sodass man ausschließlich mittels Touch die einzelnen Funktionen bedient. Außerdem scheitert es auch bei der Umsetzung der Befehle, sodass dringend ein Software Update für eine zügigere Bedienung nötig wäre.
Wie auch bei anderen Konzerngeschwistern ist die Slide-Oberfläche für die Temperaturwahl als auch die Lautstärke der Musikanlage unbeleuchtet, sodass man besonders bei Fahrten im Dunklen zahlreiche Versuche benötigt, um die gewünschte Temperatur bzw. Lautstärke einzustellen.
Weiters nervt auch die Oberfläche der Touch-Elemente am Volant, welche im Testbetrieb oftmals unabsichtlich bedient wurde. Das haptische Feedback der Oberflächen könnte deutlich wertiger wirken.

Der Drehbalken, welcher aus dem ID.3 bereits bekannt ist, scheint ein wenig gewöhnungsbedürftig. Immerhin sollte man vor der ersten Fahrt genau auf die Beschriftung achten, denn anders als bei einer herkömmlichen Automatikversion muss man raufdrehen um vorwärts zu fahren und runterdrehen um retour zu schieben.

Wie fährt sich der ID.4?

In der Testversion mit 150 kW / 204 PS und 310 Nm meistert der Vollzeit-Stromer aus Wolfsburg seinen Aufritt recht passabel.
Unter Berücksichtigung des doch recht hohen Leergewichts von 2,1 Tonnen sprintet man in 8,5 Sekunden auf Tempo einhundert. Womit der ID.4 dann doch eher zur komfortableren Fahrweise tendiert, doch dies soll keinesfalls als Kritik durchgehen. Ob man sich im Alltag dann tatsächlich für die sportliche Optik der 21-Zoll Räder entscheidet, oder dann doch lieber auf den höheren Federungskomfort setzt – das ist natürlich Geschmackssache.
Deutlich kritischer stehen wir dem Spurhalte-Assistent gegenüber, der sich aus leichten Unebenheiten der Fahrbahn den Mittelstreifen bastelt. Im Alltag stellt dies eher eine Sicherheitslücke dar, wobei ein Assistenzsystem eher den Fahrer in brenzligen Situationen vor einem Zusammenstoß etc. bewahren sollte.
Auch die Verkehrszeichenerkennung lieferte oftmals falsche Richtwerte und der Fernlicht-Assistent wurde bereits nach wenigen Ausfahrten deaktiviert, da hier die mangelnde Funktion von zahlreichen anderen Verkehrsteilnehmern mit der Lichthupe begrüßt wurde.

Sehr luftige Raumverhältnisse

Das Kofferraumvolumen des VW ID.4 beträgt 455 Liter und kann auf bis zu 1.415 Liter bei umgelegter Rückbank ausgeweitet werden. Also sollte eine längere Reise mit viel Gepäck kein Hindernis darstellen. Auch bei reichlich Ablagen und Fächern kann der Wolfsburger Stromer deutlich punkten.

Ladezeiten: Die verlängerte Kaffeepause

Je nach Akkugröße verfügt der VW ID.4 über unterschiedliche Ladeleistungen. Wir haben bei unserem Test das Modell mit dem 77 kWh Akku zur Verfügung gehabt und dies würde an der Haushaltssteckdose mit 2,3 kW beinahe einen Tag benötigen, um voll aufgeladen zu sein. An einer öffentlichen Ladestation (Wallbox 7,2 kW) dauert es ca. 8 Stunden.
Am schnellsten gelingt der Ladevorgang an einer Schnellladestation mit 125 kW Gleichstrom in nur 38 Minuten, um die Kapazität des Akkus auf 80 Prozent zu erhöhen. Die verlängerte Kaffeepause geht sich also perfekt aus, um den Wolfsburger reichlich Energie zu spendieren. Außerdem lädt man sowieso den Akku nicht immer zur Gänze bzw. fährt ihn auch fast nie ganz leer.

Unser Fazit:

Der VW ID.4 muss nicht unbedingt in der GTX Allradversion konfiguriert werden, denn Sportwagen-Feeling kommt in keiner der beiden Versionen auf, das ist aber auch nicht das Ziel. Mit der getesteten Version mit 204 PS und Frontantrieb ist man äußerst komfortabel unterwegs, meist zwischen 400 und 420 Kilometer. Wodurch der reinelektrische Wolfsburger über eine durchaus alltagstaugliche Reichweite verfügt, die auch auf Langstrecken jede Menge Schweißperlen reduziert. Abzüge gibt es bei dem ausschließlich über Touch bedienbarem Infotainmentsystem und den holprigen Assistenzsystemen.
Wie bei nahezu allen Geschwistern merkt man also, dass die Ähnlichkeiten nahezu ident sind, der Charakter dann doch aber sehr unterschiedlich.

Was uns gefällt:

Die luftigen Platzverhältnisse
Die deutlich gesteigerte Haptik (im Vergleich zum ID.3)
Das komfortable Fahrverhalten

Was wir noch verbessern würden:

Die holprigen Assistenzsysteme
Das Infotainment

Factbox – VW ID.4 Pro Performance 150 kW 4-türig

Motor/Antrieb

Motor: Elektromotor, Batteriekapazität 77 kWh
Leistung kW/PS:  150 kW/ 204 PS
Drehmoment:  310 Nm
Antrieb: Heckantrieb
Getriebeart: 1-Gang-Automatik
0-100 km/h: 8,5 Sekunden
V-Max: 160 km/h

Verbrauch/Umwelt

Werksangabe – kombiniert:  17,7-18,9 kWh/100 km
Gas-Junky-Test – Durchschnitt:  17,4 kWh/100 km
Reichweite nach WLTP:  486 – 517 km

Ladedauer

Haushaltssteckdose 230 V, 2,3 kW (Ladezeit bis 100 %):  1 Tag
Wallbox, 11 kW (Ladezeit bis 100 %): 7,5 Stunden
Wallbox, 7,2 kW (Ladezeit bis 100 %): 12 Stunden
Gleichstrom-Schnellader, 125 kW (Ladezeit bis 80 %): 38 Minuten

Bremsen/Reifen/Felgen

Bremsen: VA: Scheibenbremsen, HA: Trommelbremsen
Felgen/Reifen: Vorne 235/45 R21, Hinten 255/40 R21

Gewicht und Maße

Leergewicht:  2.150 kg
L/B/H: 4,584 m /2,108 m / 1,640 m
Radstand:  2,771 m
Kofferraumvolumen: von 543 bis 1.575 Liter

Preise

VW ID.4 Pro Performance 150 kW 4-türig zu haben ab: € 47.540,-
VW ID.4 Pro Performance 150 kW 4-türig (ohne Extras) zu haben ab: € 46.960,-
Preis Testfahrzeug inkl. NoVA und MWSt: € 59.059,60

Sonderausstattung

Farbe: Mangangrau Met. € 651,60

Anhängevorrichtung anklappbar € 942,-

Design-Paket „Plus“ + Assistenz-Paket € 4.070,40

Exterieur Style “Silver” € 685,20

Infotainment Paket “Plus” € 1.242,-

Interieur Style Paket Florence-Braun € 1.348,80

Räder, 21″ Narvik € 1.809,60

Sport-Paket “Plus” € 1.232,40

Textilfußmatten vorne und hinten € 117,60

(c) Bilder: Sebastian Poppe