Praxistest: Volvo XC90 B5 – Nicht nur für Grandseigneurs

Volvo XC90 B5 Praxistest – Nicht nur für Grandseigneurs

Eigentlich hätte er perfekt in unseren Zeitplan gepasst – hätte uns die Corona-Krise mit ihren Ausgangsbeschränkungen nicht einen Strich durch die Rechnung gemacht. Um ein Haar hätten wir den XC90 deswegen auch nicht testen können, aber dann hat es doch geklappt (Milderung der Maßnahmen und gründliche, mehrmalige Desinfektion) und wir sagen tausend Dank dafür! Es wäre sehr, sehr schade gewesen, wenn er unsere automobilen Erinnerungen nicht bereichern hätte dürfen – denn das hat er in der Tat.

Bereits beim ersten Kennenlernen strahlt Volvos Oberklasse SUV eine Ruhe und Sicherheit aus, die man gerne näher ergründen möchte. Er wirkt dabei trotz seiner Größe – bei einer Länge von fast fünf Metern – trotzdem elegant und alles andere als protzig. Dies liegt nicht zuletzt am herausragenden schwedischen Design, das in Kombination mit R-Design für einen sportlichen Look sorgt. Bei solchen Außenmaßen sollte man sich allerdings gut überlegen, wohin man fährt. Theoretisch wäre es aufgrund des Allradantriebs auch möglich, abseits der Straße unterwegs zu sein. Will man das wirklich, wäre aber die Wendigkeit einer der kleineren Brüder von Vorteil.

Wahre Größe

Für den Alltagsgebrauch ist der XC90 für unseren Geschmack eine Spur zu groß geraten. Enge Parkhäuser oder schmale Gassen sollte man eher meiden. Wenn man aber schon im Vorhinein weiß, dass man sich solchen Herausforderungen nicht stellen muss, kann man gerne zu diesem Reisebegleiter greifen. Die äußeren Abmessungen machen sich natürlich auch im Inneren bemerkbar und bieten ein unschlagbares Raumgefühl. Dieses erstreckt sich von der ersten über die zweite Reihe (auch Kopf- und Beinfreiheit betreffend) und setzt sich sogar in der dritten Reihe fort. Der Einstieg dorthin ist etwas umständlich; der Komfort, den man dort genießen kann, lässt einen das aber schnell wieder vergessen.

Oft sind Sitze der dritten Reihe „Notsitze“, ganz anders im XC90: Hier handelt es sich um vollwertige Sitze, die – wenn man sie nicht benötigt – komplett eben im Ladeboden verschwinden. Zu groß sollte man in der letzten Reihe aber nicht sein: Ab 1,70 Meter hat man dann schon das Gefühl, dem (Dach-)Himmel sehr nahe zu kommen. Überrascht hat uns, dass der Sitzkomfort in Reihe drei jenem der anderen Reihen um nichts nachsteht. Im XC90 von „Sitzen“ zu sprechen, ist eigentlich eine Untertreibung. Viel mehr passt das Wort „Gestühl“.

Kein Kreuz mit dem Kreuz

Dieses ist anatomisch perfekt designt, lässt Rückenschmerzen sofort vergessen und ist – wie der Rest des Fahrzeugs – extrem hochwertig verarbeitet. In der ersten Reihe können sowohl Fahrer als auch Beifahrer elektrisch eine 8-fache Verstellung der Sportledersitze vornehmen. Für den ziemlich wahrscheinlichen Fall, dass mit dem XC90 mehr als eine Person fahren will, sind auch beide Plätze mit Memory-Funktionen ausgestattet.

Nimmt man hinter dem Volant Platz, braucht man einen kurzen Moment, um sich zu orientieren. Statt eines Start-Stopp-Knopfes wird der rund zwei Tonnen schwere Schwede über eine Vierteldrehung eines Reglers in der Mittelkonsole aus dem Schlaf geholt. Der große, mittig platzierte Touchscreen versorgt einen mit allen wichtigen Informationen und teilt bei Bedarf seinen Bildschirm mit der gestochen scharfen Rückfahrkamera. Wer will, kann seine Einparkkünste auch aus der Vogelperspektive bewundern. Die 360 Grad-Sicht auf das Fahrzeug ist vor allem dann hilfreich, wenn der Haus-und-Hof-Hund partout nicht aus dem Weg gehen will. Aufgrund der Karosserieform wäre er ohne Kamera leider absolut nicht zu sehen. Diese ist jedenfalls eine sinnvolle Investition.

Unterwegs im XC90

Nach dem Starten des Motors wird der Wahlhebel der wunderbar sanft schaltenden Automatik endlich ins rechte Licht gerückt. Das funkelnde Kristall in der Mittelkonsole sticht bereits beim Einstiegen ob seiner außergewöhnlichen Schönheit – und auch aufgrund der Ungewöhnlichkeit des verwendeten Materials – ins Auge. Die schwedische Traditionsmanufaktur Orrefors produziert seit 1898 Herausragendes aus Glas. Volvo hatte erstmals für das in Genf 2014 vorgestellte ConceptCar des S60 die Idee einer Zusammenarbeit geboren. Seither kommt dieser exklusive Wahlhebel optional in den Modellen XC90 und S90 zum Einsatz.

Ungewöhnlich ist aber nicht nur das Material, sondern auch, dass Stellung N „überwunden“ werden muss. Auf der anderen Seite: Wenn man schon so ein edles Stück an Bord hat, wäre es doch schade, wenn man es nur ansehen würde. Nach einer kurzen Eingewöhnungsphase hat man das bald im Griff bzw. erhält man auch Feedback über die digitale Anzeige am Armaturenbrett. Diese ist übrigens gestochen scharf und selbst bei tiefstehender Abendsonne, selbst dann, wenn man Richtung Osten unterwegs ist, ohne Anstrengungen jederzeit problemlos ablesbar. Wer sich für den automatisch abblendbaren Innenspiegel entscheidet, bekommt die Himmelrichtung, in die man sich bewegt, gleich mitgeliefert.

Mildhybrid-Diesel als Sparfuchs und Leisetreter?

So „laut“ der Auftritt mit einem Fahrzeug dieser Größe auch sein mag, so leise ist er im Inneren. Obwohl es sich um einen 173 kW (235 PS) starken Dieselmotor mit Mildhybrid Unterstützung handelt, bekommt man davon im Innenraum absolut nichts mit.
Genauer betrachtet unterstützt ein Mildhybrid-System mit 48-Volt-Bordnetz, einer Lithium-Ionen-Batterie und einem Riemenstartergenerator, der die Lichtmaschine ersetzt – den Selbstzünder. Womit die Modellbezeichnung „B“ für Brake-by-Wire steht – also ein Bremsrückgewinnungssystem. Laut Hersteller soll dieses die Verbrauchs- und Emissionswerte um bis zu 15 Prozent reduzieren. Im Praxisbetrieb liegt das Drehmoment von 480 Nm bereits bei 1.750 U/min an, bei niedrigeren Drehzahlen regelt das Mildhybrid-System den Vorschub – dies merkt man besonders im urbanen Bereich.
Trotz des hohen Leergewichts des Oberklasse-SUVs verzeichnet der Selbstzünder mit Teilelektrifizierung akzeptable Fahrwerte, wobei der kleine Bruder mit identer Motorisierung noch ein Euzerl dynamischer am Gas hängt. Die Verbrauchswerte können nur minimal durch die Mildhybrid-Unterstützung geschmälert werden, knapp neun Liter genehmigt sich der XC90 B5 pro 100 Kilometer.
Die bauartbedingt typischen Geräusche gelangen selbst bei flotteren Fahrten auf Autobahnen nicht ans Ohr. Volvos Oberklasse SUV ist nicht zu komfortabel gefedert, ausreichend motorisiert und bietet eine gute Rückmeldung von Lenkung und Bremsen. Dabei vereint er hohen Fahrkomfort bei Volvo-typischer Bedienung aller Instrumente. Wer diese Logik einmal kennt, findet sich dann auch schnell zurecht.

Immer wieder überraschend ist für uns, wie gut diverse Assistenzsysteme bei Volvo arbeiten. Während man bei anderen Herstellen manchmal das Gefühl hat, der Echtbetrieb wäre der Testbetrieb, ist das bei Volvo keinesfalls unser Eindruck. Im Gegenteil: Es macht hier fast Spaß, den diversen Helferleins beim Arbeiten zuzusehen. Egal, ob aktiver Spurhalteassistent, Toter-Winkel-Assistent oder die adaptive Abstandsregelung in Verbindung mit dem Tempomaten – all das funktioniert immer zuverlässig und wirkt nie aufdringlich. Daneben zählen bei Volvo weitere Sicherheitsfeatures, wie der Kreuzungsbremsassistent, der Linksabbieger erkennen soll, oder ein Notbremsassistent bei Gegenverkehr zur Serienausstattung.

Ein bisschen weniger – oder zumindest ein anderes – Feedback würden wir uns wünschen, wenn das Handschuhfach geöffnet wird. Anders als sonst üblich ist es nicht über einen Griff zu öffnen, sondern über einen Knopf, der links vom Beifahrer im Bedienteil der Audiosteuerung angebracht ist. Drückt man diesen, plumpst es wie aus heiterem Himmel einfach herunter. Das passt irgendwie gar nicht zum Rest dieses gediegenen SUVs, das uns sonst so gekonnt verwöhnt hat.

Fazit:

Wir haben uns im Volvo XC90 sehr wohl gefühlt. Es ist alles Volvo-typisch durchdacht, hochwertigst verarbeitet und perfekt abgestimmt. Ein Oberklasse-SUV wie man es sich wünscht, versehen mit zahlreichen Individualisierungsmöglichkeiten. Volvos Schlachtschiff ist alles andere als langweilig, aber aufgrund des Preises doch eher für die Grandseigneurs – oder Lottogewinner – geeignet. Aber immer noch preiswerter als die deutschen Konkurrenzprodukte.

 

Was uns gefällt:

  • der Orrefors-Hingucker in der Mittelkonsole
  • Assistenzsysteme, die wirklich unterstützen (und nicht nerven)
  • das Gestühl und seine vielfältigen Einstellungsmöglichkeiten

 

Was wir noch verbessern würden:

  • die Art und Weise, wie sich das Handschuhfach öffnet
  • eventuell auf die Zwischenstellung „N“ verzichten, um aus „P“ direkt in den „Drive“-Modus zu gelangen
  •  Verbrauchswerte dank Mildhybrid-Unterstützung

 

Factbox: Volvo XC90 B5 AWD Geartronic R-Design 7 Sitzer

Motor/Antrieb

Motor: Vierzylinder-Turbodiesel in Reihe mit Mildhybrid-System (48-Volt)
Hubraum: 1.969 ccm
Leistung kW/PS: 173 kW/235 PS bei 4.000 U/min.
Drehmoment: 480 Nm zwischen 1.750 und 2.250 U/min
Antrieb: Allrad
Getriebeart: 8-Gang-Geartronic
0-100 km/h: 7,6
V-Max: 180 km/h

Verbrauch/Umwelt

Werksangabe –kombiniert (WLTP), l/100 km: 6,5-6,9
Gas-Junky-Test – Durchschnitt l/100 km: 9,2
CO2 Emissionen: 171-185 g/km Euro 6d

Bremsen/Felgen/Reifen

Bremsen: VA + HA: Scheibe (innenbelüftet)
Felgen/Reifen: 275/45 R20

Gewicht und Maße

Leergewicht: 2.170 kg
L/B/H: 4,953 / 2,008 / 1,733 m
Radstand: 2.984 m
Kofferraumvolumen: 680 – 1.856 Liter
Tankinhalt: 71 Liter
Kraftstoff: Diesel

Preise

Volvo XC 90 zu haben ab: € 68.163,-
XC90 B5 AWD Geartronic R-Design 7 Sitzer: € 77.860,-
Preis Testfahrzeug inkl. NoVA und MWSt: € 90.003,94

Sonderausstattung (exkl. NoVA und MWSt)

Onyx Schwarz-Metallic € 900,-

Laderaum Pro-Paket
(Befestigungssystem für Tragetaschen im Gepäckraum, Keyless Entry (elektronisches Zugangssystem), Kindersicherung für die hinteren Türen (elektrisch), Kopfstützen 2. Sitzreihe auf Knopfdruck umklappbar) € 800,-

Licht-Paket (LED-Nebelscheinwerfer, Scheinwerferreinigungsanlage, Voll-LED-Scheinwerfer) € 1.000,-

Park Assistent-Paket (Einparkhilfe vorne und hinten, Parkkamera mit 360° Surround View) € 1.150,-

Winter-Paket (Fahrer- und Beifahrersitz beheizbar, Scheibenwaschdüsen beheizt) € 350,-

Winter Plus-Paket
(Lenkradheizung, Sitzheizung hinten (äußere Sitze der 2. Sitzreihe), Windschutzscheibe beheizbar) € 500,-

Textilfußmatten für die 3. Sitzreihe € 30,-

Seitenfenster hinten und Gepäckraum abgedunkelt € 380,-

Seitenfenster und Heckfenster aus Verbundglas € 900,-

Standheizung mit Timer € 1.280,-

Garagentoröffner HomeLink € 210,-

Innenspiegel mit Abblendautomatik und digitaler Kompassanzeige € 70,-

IntelliSafe Surround € 500,-

Vorbereitung für beleuchtete Trittbretter € 10,-

Sensus Connect Premium Sound „Harman Kardon“ € 780

(c) Bilder: Gas Junky, sp