Praxistest: Volvo S60 – Mit Understatement ans Ziel

Wer Volvo hört, denkt in erster Linie an sichere und sehr komfortable Fahrzeuge, jedoch rechnet man nicht mit utopischen Beschleunigungswerten. Dass dies – nicht nur die Optik betreffend – ein überholtes Kapitel ist, beweist der neue Volvo S60 mit Bravour. Er basiert der auf der neuen skalierbaren Produkt-Architektur (SPA) und läuft als erstes Modell des schwedischen Herstellers in den USA in Charleston (South Carolina) vom Band.

Mit 250 Pferden an den Start

Wir hatten das Glück, dieses traumhafte Auto nicht auf der üblichen Strecke von und zur Arbeit, sondern im Rahmen einer Urlaubsreise in die Südsteiermark erleben zu dürfen. Der Zweiliter-Benziner leistet in der T5-Version 184 KW (250 PS) und verfügt über ein Drehmoment von 400 Nm, dieses liegt bereits bei 1.750 U/min an. Damit hat sich der neue 3er Gegner – gerade in dieser Gegend – als kongenialer Partner erwiesen. Es hat selten so Spaß gemacht, ein Fahrzeug dieser Klasse durch die kurvigen, teilweise doch sehr engen Bergstraßen des steirischen Hügellandes zu bewegen. Eigentlich sind solche Strecken ja für Motorräder prädestiniert, aber der S60 liegt so satt auf der Straße, dass man keinen einzigen Gedanken an ein Alternativfahrzeug verschwendet. Trotz Verzicht auf Allradantrieb ist man kaum dem blinkenden ESP-Lämpchen ausgeliefert. Auch der durchschnittliche Verbrauch von acht Liter hat uns durchaus positiv überrascht.

Das 8-Gang-Automatikgetriebe wechselt die Gänge so schnell und sanft, sodass der Spagat zwischen Komfort und Sportlichkeit auf den Punkt genau getroffen wurde. Das Ansprechverhalten des Gaspedals reagiert bereits im Komfort-Modus auf kleinste Gasstöße. So sprintet der flotte Schwede in nur 6,4 Sekunden von 0 auf 100 km/h. Dazu passt auch die direkte, etwas straff wirkende Lenkung, dank der man stets das Gefühl hat, perfekt mit der Straße verbunden zu sein.

Manchmal ist die (Ver-)Bindung etwas zu eng: Dann nämlich, wenn der Boden unter den Rädern holpriger wird. Das Fahrwerk ist doch sehr straff abgestimmt und gibt die Unebenheiten ziemlich direkt an die Passagiere weiter. Anfangs dachten wir, im DriveMode „Sport“ unterwegs zu sein und fingerten am Einstellrädchen herum: Die Anzeige im 9 Zoll-großen, gut auflösenden Display im Hochkantformat informierte uns jedoch darüber, dass wir im Komfort-Modus unterwegs wären. Entscheidet man sich für den Sport-Modus, spannt der S60 seine Muskeln via adaptiven Dämpfer-System zusätzlich an.

Sitzt, passt, hat Luft

Komfortabel geht es im stattlichen Schweden alle mal zu: Die für Fahrer und Beifahrer elektrisch einstellbaren Sportledersitze bieten unglaublich guten Seitenhalt. Sie sind fest gepolstert, körpernah gestaltet und passen sehr gut zum agilen Verhalten des „Kurvenfressers“. Generell sind die im Innenraum verwendeten Materialen alle sehr hochwertig und von angenehmen Haptik. Positiv überrascht hat uns der Bereich rund um die Mittelkonsole: Während dieser bei anderen Autos vorwiegend aus Hartplastik besteht, verwöhnt Volvo unsere Finger und Handrücken mit soften Materialien.

Apropos Mittelkonsole: Diese wirkt – wie der Rest des Autos – sehr aufgeräumt. Das liegt nicht zuletzt daran, dass (fast) alles über den mittig platzierten Touchscreen eingestellt wird. Das Einzige, was sich neben abdeckbaren Getränkehaltern und einem Knopf für die Feststellbremse noch hier findet, sind der der bereits erwähnte Fahrmodus-Regler und (man staune) der Start-Stopp-„Knopf“. Ungewöhnlich ist nicht nur die Platzierung, sondern auch die Art und Weise, dem Motor Leben einzuhauchen: Man startet den nur als Benziner mit Automatik erhältlichen S60 durch eine sanfte Viertelkreis-Drehung nach rechts – und stellt das Zweiliter-Benziner-Aggregat auch genau wieder so ab – obwohl man das intuitiv eigentlich lieber in die Gegenrichtung machen möchte.

Schweden-Logik?

Intuitiv bedienbar ist der Touchscreen – zumindest am Anfang – leider nicht. Man sollte das Kennenlernen dieses Gefährten besser auf die Standspur verlegen. Nach einer kurzen Aufwärmphase kommt man dann aber doch ganz gut damit zurecht und wenn man die Logik einmal verstanden hat, geht auch die Bedienung rasch vonstatten. Was wir noch immer nicht geschafft haben, ist das Handling der Sprachsteuerung – und das, obwohl wir sogar die durchaus gelungene Kurzanleitung zu Hilfe genommen haben, in der die wichtigsten Befehle fürs Navi oder die Mediensteuerung übersichtlich dargestellt sind. Wahrscheinlich liegt es einfach daran, dass wir zu undeutlich oder nicht „deutsch“ genug sprechen.

Solche Kleinigkeiten verzeihen wir dem S60 aber gerne, denn – und damit kommen wir wieder zurück zu seiner Kernkompetenz – wir sind ja nicht zum Reden, sondern zum (Er-)Fahren da. Sollte der Lenker das Armaturenbrett mal nicht im Blickfeld haben (und das, obwohl er die Optik an seine Wünsche anpassen kann), leistet ein Head up-Display einen guten Dienst. Ebenso verlässlich ist die erlaubte Höchstgeschwindigkeit daneben eingeblendet, die in den meisten Fällen korrekt angezeigt wird. Auch sehr nett: Sofern bei Geschwindigkeitsbegrenzungen Zusatztafeln angebracht sind, gibt es einen entsprechenden Hinweis (manchmal sogar mit der konkreten textlichen Ausgestaltung). Wer das mit der maximalen Geschwindigkeit noch immer nicht kapiert hat, bekommt zusätzlich Unterstützung durch einen roten Strich am Tachometer, der ebenfalls erlaubte Höchstgeschwindigkeit kennt. So nach dem Motto: Bis hierher und nicht weiter!

Gut abgegrenzt ist auch der Bereich, den die Rückfahrkamera anzeigt. Eigentlich hat das Testfahrzeug ja viel mehr als das an Bord: So wird das Auto, sobald der Retourgang eingelegt wird, aus der Vogelperspektive mit einem großen Teil seiner Umgebung angezeigt. Wem das noch immer nicht reicht, sei ein Blick in den rechten Außenspiegel empfohlen: Dieser senkt sich nämlich automatisch ab, sobald es rückwärts geht. Für den Fall, dass der Fahrweg auf einmal doch nicht mehr frei sein sollte, zeigt Volvo im Display rote Markierungen an der entsprechenden Stelle an und warnt zusätzlich noch mit einem akustischen Signal. Gerade beim Ausparken ist dies ein extrem hilfreiches Feature.

Von einem Aha-Erlebnis zum nächsten

Wieder „on the road“ sind wir neugierig, ob die diversen Helferleins (Tempomat in Verbindung mit Adaptive Cruise Control) wirklich das halten, was sie versprechen – und wir haben nicht schlecht gestaunt: Der Volvo S60 schafft es tatsächlich, uns sicher durch den Straßenverkehr zu bewegen – ganz ohne unser Zutun. Das Blöde daran: Es ist ein bisschen wie beim sanft schaltenden Automatikgetriebe. Das Auto selbst kann es besser als der Fahrer. Hier verhält es sich ähnlich: Im Stop-and-Go-Verkehr schließt der S60 wesentlich angenehmer auf und verringert auch den Abstand wieder besser als das die meisten Menschen hinbekommen. Egal, ob beim Wegfahren vor Ampel geregelten Kreuzungen oder bei höheren Geschwindigkeiten, der S60 gleitet stets smooth dahin. Einzige Bedingung: Die Hände müssen am Lenkrad sein. Auch, wenn diese Funktion ein Highlight ist und bestens funktioniert: Wir wollen wieder selber fahren!

Leider geht jede Reise einmal zu Ende und nachdem die Koffer ja auf den diversen Ausflugsfahrten in der Unterkunft bleiben, merkt man erst am Schluss, was sich da schon wieder alles an Mitbringseln angesammelt hat. Beim Einräumen hatten wir das nächste Aha-Erlebnis – und wieder war es ein positives: Der Kofferraum schluckte problemlos alle unsere Gepäckstücke, diverse Weinkartons südsteirischer Winzer (vier an der Zahl) und Sackerl, prall gefüllt mit steirischen Schmankerln. So mussten wir weder auf den Fond als zusätzlichen Stauraum ausweichen noch die Rücksitzlehnen umklappen.

Wir haben uns nur sehr ungern vom Volvo S60 getrennt – und sein elegantes Äußeres im R-Design hat uns diesen Schritt auch nicht gerade leichter gemacht. Wer an frühere Volvos denkt, erinnert sich vielleicht noch an eine klare, eher kantige Zeichensprache. Ganz anders bei diesem Modell: Wir finden die Linienführung in Verbindung mit den stylishen Felgen, den dezent eingesetzten Akzenten in schwarz und silber und den scharf gezeichneten Leuchten (die ihrem Namen vor allem nachts alle Ehre machen) mehr als gelungen und freuen uns auf ein baldiges Wiedersehen. Wenn wir ihn dann auch nur von außen bewundern dürfen – aber die Erinnerung an diesen perfekten Reisebegleiter bleibt.

Fazit

Mit dem Volvo S60 ist den Entwicklern ein Coup der Sonderklasse gelungen: Oberklasse-Feeling pur! Einfach alles an ihm hat uns verzaubert, wenn da nicht der Preis wäre. Als gediegene Limousine kann es der S60 durchaus mit den deutschen Premium-Marken aufnehmen – ganz egal, ob es das Handling, das Design oder die Materialauswahl betrifft.

Was uns gefällt:

  • dass man mit einer Limousine solchen Spaß in den Kurven haben kann
  • die hochwertige Verarbeitung der im Innenraum verwendeten Materialen
  • der frische und zugleich elegante Auftritt

Was wir noch verbessern würden:

  • die Federung bzw. das unserer Meinung nach zu hart abgestimmte Fahrwerk
  • die Sprachsteuerung für Navi & Co
  • Unser Einkommen, damit wir auch mal einen S60 unser Eigen nennen können.

Technische Daten: Volvo S60 T5 Geartronic First Edition

Motor/Antrieb
Motor: Benzinmotor Reihe 4 Zylinder, quer eingebaut
Hubraum: 1.969 ccm
Leistung kW/PS: 184 kW/250 PS
Drehmoment: 400 Nm bei 1.750 – 2.500 U/min
Antrieb: Frontantrieb
Getriebeart: 8-Gang-Automatikgetriebe „Geartronic“ inkl. Start-Stopp-System
0-100 km/h: 6,4 Sekunden
V-Max: 240 km/h

Verbrauch/Umwelt
Werksangabe – Stadt/Land/kombiniert, l/100 km: 8,9 / 5,4 / 6,6
Gas-Junky-Test – Durchschnitt l/100 km: 8,0
CO2 Emissionen: 152 g/km Euro 6d-TEMP

Fahrwerk/Reifen/Bremsen
Vo. Achse: Einzelradaufhängung, Schraubenfedern, Stoßdämpfer
Hi. Achse: Einzelradaufhängung, Blattfedern, Stoßdämpfer
Bremsen: VA + HA: Scheibenbremsen (vorne und hinten)
Felgen/Reifen: 18“ 8 J / 235/45R18 98W

Gewicht und Maße
Leergewicht: 1.677 kg
L/B/H: 4,761 / 1,850 / 1,431 m
Radstand: 2.872 m
Wendekreis: 12,4 m
Kofferraumvolumen: 442 Liter
Tankinhalt: 60 Liter
Kraftstoff: Benzin

Preise
Volvo S60 zu haben ab: € 43.000,-
Volvo S60 T5 Geartronic First Edition zu haben ab: € 53.630,-
Preis Testfahrzeug inkl. NoVA und MWSt: € 62.028,80

Sonderausstattung (exkl. NoVA und MWSt)

Winter-Paket (Fahrer- und Beifahrersitz beheizbar, Scheibenwaschdüsen beheizt) € 300,-
Xenium Pro-Paket (Armaturenbrett in Lederoptik, Head-up Display, Klimaautomatik mit 4-Zonen-Temperaturregelung, Panorama Schiebe-/Hebedach) € 2.550,-
18“ 5-Doppelspeichen € 0,-
Alarmanlage € 450,-
Einlagen Metal Mesh € 0,-
Fahrer- und Beifahrersitz elektrisch einstellbar € 380,-
Fusion Rot-Metallic € 750,-
Haken im Gepäckraum unterhalb der Ladeabdeckung € 30,-
Handschuhfach abschließbar € 30,-
Kindersicherung für die hinteren Türen (elektrisch) € 80,-
Kopfstützen der 2. Sitzreihe auf Knopfdruck umklappbar € 150,-Memoryfunktion für Beifahrersitz € 80,-
Parkkamera mit 360° Surround View € 880,-
R-Design Textil/Nappaleder Sportsitze Anthrazit € 0,-
Rücksitzlehnen auf Knopfdruck umklappbar € 230,-Seitenfenster und Heckfenster aus Verbundglas € 680,-
Sensus Connect Premium Sound by Bowers & Wilkins € 2.750,-

(c) Bilder: Gas Junky, sp