Kia Niro EV Praxistest: Eine spannende Alternative

Den Kia Niro in seiner zweiten Generation durften wir bereits als praktische Vollhybrid-Version zum Test begrüßen. Lediglich die Systemleistung von 141 PS wurde eher nachteilig betrachtet. Nun nehmen wir in der rein elektrischen Version in der Top-Ausstattungslinie Platin Platz. Bietet der Vollzeit-Stromer nun tatsächlich reichlich Alltagstauglichkeit? Preislich ist jedenfalls der Hybrid mit knapp 16.400 Euro (Listenpreis, ohne Abzug der Förderung) in der Basis günstiger.

Exterieur: Spaciges und unverwechselbares Design, das sofort ins Auge sticht

Im Vergleich zu seinem Vorgänger trumpft das koreanische Crossover-Modell mit einem spacigen Design auf, welches die zahlreichen Konkurrenzmodelle ziemlich altbacken aussehen lässt. Speziell die breite C-Säule (kann auch in Kontrastfarbe geordert werden), die Bumerang-artigen Heckleuchten und auch die sehr futuristischen Frontscheinwerfer verleihen dem Niro ein unverwechselbares Design. In der EV-Version bleibt die Front geschlossen, lediglich für die Anschlüsse der Stecker gibt es hier eine Ausnahme.

Interieur: Vom großen Bruder übernommen

Auch im Inneren des Kia Niro EV geht es äußerst zukunftsorientiert, sprich volldigital zur Sache. Das ist nicht immer ein Vorteil, da dies stark vom Verkehrsgeschehen ablenkt und meist die Assistenzsysteme nur in Untermenüs zu deaktivieren sind. Das ist im Kia Niro (EV) nicht der Fall, denn trotz der zahlreichen Digitalisierungsmaßnahmen bleiben am Ende des Tages reichlich, nützliche Bedienelemente übrig, um die Bedienung intuitiv und wenig ablenkend zu gestalten. Ob man die wechselbare Leiste zwischen den Menüpunkten oder der Klimaeinheit mag, da kommen verschiedene Meinungen auf. Dennoch bin ich sehr froh, dass man noch mit Drehreglern arbeitet, wo bei anderen Modellen mittlerweile der Kampf bei Unebenheiten beginnt und man zwischen 21 und 24 Grad niemals die gewünschte Temperatur erreicht.
Apropos: Sehr intuitiv wurde beim Kia Niro EV auch die Wahl der Rekuperationsstufen gewählt – diese sind via Schaltpaddles in vier Stufen wählbar. In der stärksten Stufe erzielt man sogar ein One-Pedal-Feeling, welches wir im Alltag sehr zu schätzen lernen.

Platztechnisch bietet der Niro EV genügend Kopf- und Beinfreit. Aufgrund der dann doch deutlich gewachsenen Abmessungen lässt es sich für die Passagiere auf der Rückbank selbst auf längeren Strecken aushalten.
Ebenso erfreulich fällt auch die Materialwahl im Innenraum aus, welche ja bereits von zahlreichen Kia-Modellen bekannt ist.

Fahrverhalten und Laden: Nicht ganz so flott, wie im EV6

Mit seinen 150 kW / 204 PS und dem sofort anliegenden Drehmoment von 255 Nm steht der Kia Niro EV ausreichend im Futter. Der Sprint auf Tempo einhundert gelingt bei Bedarf in nur 7,8 Sekunden – selbst bei nasser Fahrbahn hat der Niro EV kaum Traktionsprobleme.
Sein 64,8 kWh Akku soll laut WLTP für 460 Kilometer Reichweite sorgen – soviel zumindest mal zur Theorie. Im Alltag waren wir mit knapp 18,5 kWh / 100 Kilometer unterwegs (wohlgemerkt im kombinierten Verfahren), sodass wir auf eine Reichweite (100-10 Prozent SoC = State of Charge) von rund 315 Kilometer kamen. Aber letztendlich geht es ja nicht immer ausschließlich um die tatsächliche Reichweite, denn die Ladegeschwindigkeit spielt gerade auf längere Strecken eine ebenso wichtige Rolle. Via Schnelllader sollte von 0-80 Prozent in ca. 41 Minuten mit einer maximalen Ladeleistung von 72 kW der Akku befüllt werden. In der Praxis wird man jedoch meist bereits bei fünf oder zehn Prozent SoC zum Stecker greifen. In unserer Testzeit dauerte der Ladevorgang 50 Minuten, um von 10 auf 80 Prozent zu laden. Diese verbringt man recht gerne bei einem Kaffee oder auf dem Beifahrersitz, der in eine Relax-Position gebracht werden kann. Außerdem darf sich die jüngere Generation über USB-Slots an der Rückseite erfreuen, womit Smartphones oder Tablets niemals den Geist aufgeben werden.
Deutlich größere Abzüge gibt es bei der Planung der Route, da eine automatische Routenplanung beim Niro EV noch nicht möglich ist. Via over the air Update soll dieses Feature nachgeliefert werden.

Besser gefällt uns die deutlich straffere Fahrwerksabstimmung im Vergleich zum Vollhybrid-Modell. Klar federt der Niro EV speziell bei niedrigen Geschwindigkeiten recht kräftig in den Innenraum, aber auf kurvigen Etappen hinterlässt der Vollzeit-Stromer einen spaßigen Fahreindruck. Die Wahl der Fahrmodi erfolgt direkt am Volant.

Eine deutliche Entschärfung würde man sich für den Spurhalte-Assistenten wünsche, der meist sehr radikal in das Geschehen eingreift und für spannende Überraschungen sorgt, aber Gott sei Dank kann dieser ganz easy deaktiviert werden. Besser gefällt das in der Platin-Version serienmäßige Head-Up-Display, welches die wichtigsten Infos in bester Grafik in die Windschutzscheibe spiegelt. Und natürlich die (für dieses Segment) eher untypischen Features, wie zum Beispiel belüftete Sitze, elektrische Heckklappe, Premium-Sound, Lenkrad-Heizung etc., lediglich für die Metallic-Lackierung besteht ein minimaler Aufpreis. Davon kann man bei der Konkurrenz nur träumen.

Unser Fa(hr)zit

Der Kia Niro EV geht ganz klar als alltagstaugliches Elektrofahrzeug durch. Großartig finden wir, dass der Hersteller die Kunden keinesfalls zur vollelektrischen Version zwingt, denn es stehen auch eine Vollhybrid und Plug-in-Hybrid Version zur Verfügung. Klar sind knapp 57.000 Euro für ein kompaktes Crossover-Modell eine Stange Geld, dennoch wird man mit zahlreichen Features verwöhnt, welche in diesem Segment eher unüblich sind. Außerdem verfügt man über 7 Jahre bzw. 150.000 Kilometer Garantie, auch auf den Akku.

Was uns gefällt:

  • Die umfangreiche Serienausstattung in der Top-Version
  • Die hochwertige Materialwahl
  • Die intuitive Bedienung

Was wir noch verbessern würden:

  • Eine automatische Routenplanung inkl. Ladestopp
  • Den Spurhalte-Assistent etwas entschärfen
  • Die maximale Ladeleistung erhöhen

Factbox – Kia Niro EV Platin

Motor/Antrieb

Motor: Elektromotor, Batteriekapazität 64,8 kWh
Leistung kW/PS: 150 kW/ 204 PS
Drehmoment:  255 Nm zwischen 0-6.000 U/min.
Antrieb: Vorderradantrieb
Getriebeart: Reduktionsgetriebe
0-100 km/h:  7,8 Sekunden
V-Max:  167 km/h

Verbrauch/Umwelt

Werksangabe – kombiniert:  16,2 kWh/100 km
Gas-Junky-Test – Durchschnitt: 18,5 kWh/100 km
Reichweite nach WLTP:  460 km

Ladedauer

Wallbox, 11 kW (Ladezeit bis 100 %): 6:20 Stunden
Gleichstrom-Schnellader, 100 kW (Ladezeit 0-80%, max. 72 kW): ca. 41 Minuten

Bremsen/Reifen/Felgen

Bremsen: VA: Scheibenbremsen (innenbelüftet) HA: Scheibenbremsen
Felgen/Reifen: 215/55 R17

Gewicht und Maße

Leergewicht:  1.682-1.739 kg
L/B/H: 4,420 m /1,825 m / 1,570-1,585 m
Radstand:  2,720 m
Kofferraumvolumen: 475-1.392 Liter

Preise

Kia Niro EV (Titan) zu haben ab: € 47.940,-
Kia Niro EV Platin zu haben ab: € 55.740,-
Preis Testwagen inkl. Steuern: € 56.390,-

Sonderausstattung

Metallic-Lackierung € 650,-

(c) Bilder: Sebastian Poppe